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Biographies de neurologues
 
Nouvelle Iconographie de La Salpêtrière
 
 L'histoire des neurosciences à La Pitié et à La Salpêtrière J Poirier
The history of neurosciences at La Pitié and La Salpêtrière J Poirier 
 
 
 

mise à jour du
 10 décembre 2006
Fortschr d Med
1935;53(17):304-306
Vom Recken, Strecken, Gähnen und Husten
Hans Otto
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Wenn man seine Patienten fragt, vie sie sich morgens beim Aufstehen befinden, so ist man erschreckt, wie häufig über Unlust, Schlaffheit, schlechte Laune usw. geklagt wird. Sieht man sich dagegen Tiere oder kleine Kinder nach dem Aufwaehen an, so fällt immer wieder ihre auBerordentliche Quicklebendigkeit auf, ihr Tatendrang, der sich bei den Kindern in fröhlichem Krähen äuBerst, kurzum nur dort erlebt man rein die regenerierende Wirkung des erquickenden Schlafes. Die Erwachsenen wachen miBmutig und schlaff auf oder werden durch den Wecker aus dem Bett gepeitscht, ohne das Gefühl der Erholung und des wirklichen Ausgeschlafensein s zu haben. Viele Menschen kommen erst allmählich durch kalte Waschungen and ihre alltägliche Beschäftigung so weit in Gang, daB man sie als wirklich wach bezeichnen könnte. Viele andere wachen den ganzen Tag über nicht richtig auf, haben dann vielleicht abends eine kurze Munterkeitsperiode und schlafen die Nacht darauf schlecht and unruhig. Auch das Phänomen der "Unausgeschlafenheit, der Unleidlichkeit und Knurrigkeit so vieler nach dem Schlafen hängt mit dieser Frage zusammen. Was ist der Grund des Unterschiedes zwischen Tieren, Kindern und Erwachsenen? Ici weiB nicht, ob die Physiologie viel darüber gearbeitet hat, ich wenigstens habe nichts finden können, was als Erklärung befriedigt hätte. Es bleibt uns also, um den Dingen auf den Grund zu gehen, nur die eigene Beobachtung, eine Befragung der Natur, wobei die sicherste Auskunft das Wohlbefinden des eigenen Körpers gibt.
 
Beobachten wir kleine Kinder in der Zeit kurz vor dem Aufwachen, so fällt uns auf, dag noch im Schlaf ein leises Spielen der Glieder anfängt, ein zartes Durchspannen aller Muskeln und Gelenke bei den Fingern und Zehen anfangend, auf Arme und Beine übergehend and schlieBlich den ganzen Körper durchziehend. Ein paar Mal ausgiebiges Gähnen schlieBt sich an, ein kurzes Schütteln noch und das Kind ist voll munter. Weckt man es dagegen barsch aus dem Schlaf, ohne ihm Zeit zu dieser Durchspürung zu lassen, oder unterbricht man den Vorgang, so ist die Stimmung hin, und Weinen and Quärrigkeit herrschen für längere Zeit vor. Bei den Tieren ist es ebenso. Kein Hund, der wirklich geschlafen hat, wird sich streicheln oder mit sich spielen lassen, bevor er mit Recken and Gähnen fertig ist.
 
Nun kennen ja auch wir Erwachsenen dieses Durchrecken, wir nennen es meistens bezeichnenderweise rekeln, aber wir erleben so häufig, daB wir danach müder, anstatt frischer werden. Wo liegt der Unterschied? Zum ersten schlafen Tier und Kind anders, nämlich entspannt, ohne dabei schlaff zu sein. Wenn wir Erwachsenen prüfen wollen, wie starr wir schlafen, so müssen wir uns einmal auf eine harte Unterlage legen, um zu merken, daB wir völlig unnachgiebig, wie aus Holz, daliegen. Die weichen Kissen and Matratzen im Bett nehmen uns die Unbequemlichkeit des harten Lagers ab und täuschen uns eine Entspannung vor, die besten Falles gelockerter Krampf, meist aber nur eine gestaltlose Schlaffheit ist, ohne daB die im Laufe des Tages starr gehaltenen Muskeln sich irgendwie entspannten. Aus diesem Grunde schlafen die Tiere auch auf dem FuBboden gut und wachen erholt auf, während uns das schlecht bekommen würde. Nur drauBen im Schützengraben haben wir es auch lernen müssen, wir waren ja aber auch jung genug, um uns anpassen zu können. Mit einiger Uebung können auch wir bis ins hohe Alter hinein, wenn keine schweren deformierenden Krankheiten vorliegen, diese Entspannung lernen, doch davon ein anderes Mal.
 
Zum zweiten rekeln die Kinder sich nicht, sondern sie "spannen sich durch", und da liegt der Unterschied. Ob im Schlaf die Ermüdungsstoffe des Tages in die Lymphbahnen ausgeschieden werden, ohne völlig abtransportiert zu werden, ob die Blutzirkulation sich verschlechtert und wieder aufgefrischt werden muB, ob die Gelenke "einrosten" und wieder neu geschmiert werden müssen, genaues ist darüber nicht zu sagen, wohl aber zeigt der Erfolg, dag eine grundliche wirkliche Durchspannung beim Aufwachen nicht nur das körporliche Wohlbefinden hebt, den Körper sofort leistungsfähig sein läBt, sondern daB sich auch die seelische Stimrnungslage sofort erheblich bessert. Der Volksmund sagt vom Gegenteil ja mit Recht: "Er ist mit dem falschen Beine aufgestanden." Wir wissen alle, daB wir heim Erwachen, "steif" sind, daB z. B. die Hände feinere Arbeiten oder auch kraftige Griffe nicht sofort ausführen können, daB "Stockungen" vorliegen, die erst nach einer Weile verschwinden. Nur wenige Europäer sind noch so elastisch, daB wenige tiefe Atemzüge genügen, um sie voll wach sein zu lassen, höchstens rein starker Affekt kann sie dazu bringen. Wenn man nun sieht, wie lange Zeit ein kleines Kind braucht, um diesen spannungsgeladenen Wachzustand zu erreichen, nämlich von den ersten instinktiven Regungen im Schlafe an fast eine halbe Stunde, und damit vergleicht, wie virl schwerer uns verkrampften Erwachsenen em solches Durchspannen fällt, dann kommt man zu recht langen Zeiten, die wir darauf verwenden muBten, um uns nach der Nacht in Form zu bringen. Diese Zeit fehlt zumeist, aber schon eine kurze kontrollierte Durchspannung kann erheblich nützen, und vielen meiner Patienten habe ich mit gutem Erfolg zu dieser morgendlichen Uebung geraten.
 
Das Wichtigste dabei, neben der nicht zu unterschätzenden seelischen Disposition, der Aufstehbereitschaft, ist, daB bei diesem Durchspannen die einzelne Bewegung, sei es die der Finger, des Armes, des Rückens usw., wirklich zu Ende geführt wird, bis jenes "Durchrieseln" der Glieder eintritt, das das Ingangkommen von Blut- und Lymphstrom wahrscheinlich anzeigt. Hören wir mit der Bewegung zu früh auf, klappen wir ab und werden gleich wieder schlaff, dann ist der Erfolg em negativer, wir haben gerekelt, aber uns nicht durchspannt.
 
Wer morgens diese Uebung macht, wird bald ein starkes Gähnbedurfnis bemerken. Auch hier ist wieder, je nach der Art des Gähnens, der Erfolg völlig verschieden. Wird das Gähnen beim ersten Reiz sofort quasi herausgezogen, d. h. wird schlaff gegähnt, sio bringt es nicht die gewünschte Erleichterung. Hält man dagegen anfangs etwas zurück, läBt den Reiz sich aufstauen und erspûrt dann, wann der Gähnvorgang als reiner Reflex ablaufen will, dann wird man zu einem herzhaften Gähnen kommen, das den Körper bis in die Zehenspitzen durchrieselt und die Tränen in die Augen treibt. In diesem Falle ist der Erfolg sofort spürbar, ein ausgesprochenes Wohlgefühl tritt ein und der Kopf wird schnell klar. Kommt das Gähnen nicht gleich in Gang, so genügt em passives Hängenlassen des Unterkiefers, ein leichtes Herausfallenlassen (nicht aktives Strecken) der Zunge und die damit verbundene Hebung des hinteren Gaumens und des Zäpfchens, um den Gähnreflex in Gang zu bringen. Patienten, die über Kopfbenommenheit, Kopfschmerzen, Müdigkeit bei der Arbeit usw. klagen, kann man diese einfache Uebung auch über Tag empfehlen. Gelingt ein wirklich durchgreifendes Gähnen, dann wird der Kopf sofort klar und neu leistungsfähig.
 
Allerdings wird man anfangs erstaunt sein, welch groBen Bedarf an Entlastung Kreislauf und Lungen sehr bald zu zeigen beginnen. Eine wahre Gähnflut kann ausgelost werden, wobei des Guten natürlich auch zuviel getan werden kann. Wichtig ist immer, daB der auBerordentlich starke Atemreiz, der durch richtiges Gähnen hervorgerufen wird, sinngemäB ausgenutzt wird. Es empfiehlt sich, die Uebung in frischer Luft oder am besten am offenen Fenster vorzunehmen und die Dauer zu begrenzen. Ein kurzes anschlieBendes Abklopfen des Rückens bringt die durch den Gähnrefiex angeregten Lungenpartien noch zu einer besseren Lösung und Weiteratmung.
 
Für denjenigen, der genau beobachtet, wird es erstaunlich sein, welche Mengen übelriechenden Atems auf diese Weise abgegast werden. Es scheint so, als ob groBe Teile der Lunge, die sonst still lagen, durchlüftet und gereinigt würden und dag sich hierdurch die Hauptwirkung der Uebung erklärt. Man kann auch vor dem Röntgenschirm die bessere Aufhellung der Lunge nach diesen Gähnattacken objektiv feststellen.
 
Ganz ähnliches geschieht beim Niesen und Husten. Besonders der wirkliche Brusthusten mit seiner starken Erschütterung des Zwerchfells kann zu einer besseren Durchatmung ausgenutzt und bald zum Abklingen gebracht werden. Allerdings gehört dazu bereits eine wachere Beziehung zum Atemapparat, die nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf.
 
Wenn oben das Wort "Uebung" gebraucht wurde, so möchte ich sogleich auf ein etwa mögliches MiBverstandnis hinweisen. Es. ist die bequeme Art der meisten Menschen, sich mit einem "Rezept" zufrieden zu geben und bestimmte Vorschriften zu befolgen, ohne im geringsten darauf zu achten, wie sich die verschiedenen Abläufe am eigenen Körper auswirken. Ein Rezept zum richtigen Gähnen und damit besseren Atems gibt es nun nicht; sondern das, was erreicht werden soll, kommt nur in Gang, wenn der betreffende Uebende wach hinspürt und darauf achtet, daB die Reflexvorgänge so ablaufen, wie der Kürper es möchte. Denn die Natur hat immer das Bestreben zur bestmöglichsten Leistung, wird aber durch die verschiedenartigsten psychischen und Gewohnheitshemmungen am freien Ablauf der Vorgange gehindert. Als Ersatz schleicht sich immer wieder die bequemere Anwendung von vermeindlichen Uebungsvorschriften ein und nur die unbestechliche Sicherheit des Eintritts eines Lustgewinnes und eines fortdauernden Wohlbehagens gibt den MaBstab ab für sichere Entscheidung, ob richtig oder falsch. Es liegt daher auch beim Arzte, daB or nicht mir "Uebungen" vorschreibt, sondern die nur durch eigenes Erleben zu findenden zwingenden Beschreibungsworte beherrscht und sie dem Patienten übermittelt. Nur wer diese Vorgänge am eigenen Körper studiert und erlebt hat, wird anderen klar machen können, worum es sich im Grunde handelt. DaB das nicht nur eine berufliche Pflicht des Arztes sein sollte, sondern gleichzeitig seine Gesundheit und Leistungsfähigkeit steigert, sei nebenbei erwähnt. Je beschäftigter und abgehetzter der Arzt selber ist, je weniger Zeit er also für derart; anscheinend umständliche Verordnungen hat, desto wichtiger ist es auch für ihn, diese natürliche Regenerationsmöglichkeit bei sich anzuwenden, und er wird dann von seibst dazu kommen, sie an die Patienten weiter zu empfehlen und diese entsprechend anzuleiten. Ganz einfach ist beides nicht, wie ich gezeigt zu haben glaube, aber wir müssen doch endlich dazu kommen, nicht nur über die physiologischen Vorgänge mit der Ratio nachzudenken, sondern sie so zu erleben, daB sie unser ganzes Dasein beherrschen. Die Lebensfremdheit gewisser Wissensehaft beruht ja häufig nur darauf, daB hier über Dinge nachgedacht (hinterhergedacht) wird, die viel einlacher und sicherer erspürt werden könnten, wobei sich dann, wenn das Spuren erst da war, die Methoden zum objektiven Nachweis von selbst einstellen würden.
 
Vom künstlichen Kothurn dieser Art Wissenschaft werden meine Ausführungen sicher belächelt werden, da sie angeblichem, subjektivem unkontrollierbarem Gefühl das Wort reden. Dem ist aber nicht so. Die objektive Nachprüfung der Vorgange soll keineswegs vernachlässigt werden, nur müBten neue Methoden gesucht werden, und sie lassen sich nur dann finden, wenn die genaueste Beobachtung der Vorgänge im Selbstversuch zugrunde liegt. Sichere und genauere MaBstäbe aber, ais die Reaktion des wachbeobachteten Eigenkörpers dürften sich vorerst nicht finden lassen.
 
So können Recken, Strecken, Gähnen und Husten, diese alltäglichen Vorgange des Korpers, noch sehr viel besser studiert und ausgenützt werden, wenn wir mit ihnen an uns selbst experimentieren, wobei experimentieren nicht heiBen soll, daB etwas besonderes angestellt werden müBte. Kommt es doch nur auf eine saubere Beobachtung der sich im Körper abspielenden Funktionen (- in Parenthese: bei wem "spielen" die Funktionen uberhaupt noch einigermaBen ungestört?) an, unter allmählicher Ausschaltung der unbewuBten Hemmungen, die ein jeder von uns den natürlichen Abläufen entgegenstemmt. Der Artz aber wird erstaunt sein, wie vielerlei körperliche und nicht zuletzt auch seelische Störungen er bei senien Patienten beseitigen kaun, wenn er sie dazu bringt, diese natürliche Heilkraft, dieses immanente Regenerationsbestreben, planvoll zu fordern und sich auswirken zu lassen.