mise à jour du
25 août 2005
Spektrum der Wissenchaft
juli 2004; 70-74
Scholarpedia
Warum gähnen Wir?
Olivier Walusinski
 
pdf en français
 
Physiologie, Rolle und Neuropharmakologie des Gähnens 
UR  Goessler et al

yawning.info

yawning.info
Die drei Gründe zu gähnen
 
Gähnen ist ein uraltes Verhalten, das unserem Stammhirn entspringt. Es lässt sich nicht unterdrücken und erinnert insofern an einen Reflex. Es dient nicht der besseren Sauerstoffversorgung ! Vielmehr sorgt es für die Aktivierung von Muskulatur und Kreislauf.
 
Auch einige Stimmungen lösen Gähnen aus: Langeweile, gespannte Erwartung (zum Beispiel einer Mahlzeit), Konflikt. Hierbei tritt das alte Saugerhirn mit dem limbischen System in Funktion.
 
Nur Menschen gähnen durch Ansteckung. Dieser Impuls entsteht im Neusäugerhirn unter Mitwirkung von Nervenzellen, die auch bei Empathie, Einfühlung in andere, aktiv sind. Diese Art des Gähnens dürfte in der menschlichen Evolution geholfen haben, das Gruppenleben zu synchroniseren
 
Tous les articles en allemand sur le bâillement

Warum gähnen Wir?
 
Gähnen kommt aus dem Stammhirn und tritt schon bei Reptilien auf. Doch nur Menschen lassen sich davon anstecken. So stimmen sie sich unwillkürlich aufeinander ein.
 
 
Alile tun es: Menschen, Affen, Hunde, Vögel, sogar Schlangen. Offenbar ist Gähnen ein altes Verhaltenserbe der Wirbeltiere. Nur - wozu ist es gut, den Mund weit aufzureissen und geräuschvoll, langsam und genüsslich tief einund auszuatmen, vielleicht noch mit einem herzhafren Seufzer am Schluss?
 
Charles Darwin (1809-1882), der Begründer der Evolutionstheorie, soll
das Gähnen als ein "nutzloses Stück Physiologie" bezeichnet haben. Verwunderlich nur, dass die merkwürdige Verhaltensweise über Jahrmillionen unverändert blieb und bei allen Tieren gleich und auffallend stereotyp aussieht. Merkwürdig auch, dass sie in ganz verschiedenen Zusammenhängen und sogar entgegengesetzten Situationen erscheint: beim Einschlafen und beim Aufwachen, vor und nach einer Mahlzeit, wenn jemand allein ist oder in Gesellschaft. Beim Menschen kommt noch als Besonderheit hinzu, dass Gähnen auf andere leicht ansteckend wirkt.
 
Für besonders herzhafte Fälle gibt es im Franzôsischen die Wendung: "Gähnen, dass man sich den Kiefer ausrenkt". Der Spruch ist nicht so falsch. Am häufigsten geraten Kiefer tatsächlich aus dieser Ursache aus dem Gelenk.
 
Im Prinzip vollführen wir beim Gähnen automatisch einen festen Bewegungsablauf, den wir wenig beeinflussen können. Der Vorgang erinnert damit an einen Reflex. Man gahnt unwillkürlich.
 
Hat man erst angefangen, lässt sich zwar das AusmaI etwas steuern, der Ablauf aber nicht mehr anhalten oder unterdrücken.
 
So em Gähnvorgang dauert fünf bis zehn Sekunden. Zunächst spannen sich das Zwerchfell sowie etliche Muskeln von Kiefer und Nacken an, andere werden gedehnt. Das erzeugt das tiefe Einatmen. Der Mund öffnet sich dabei weit und die Lippen werden zuruckgezogen, sodass die Zähne zu sehen sind. Auch die oberen Atemwege weiten sich. Auf dem Hohepunkt hat unser Schlund den vierfachen Durchmesser wie sonst.
 
Nicht wegen Sauerstoffmangel
 
So viel Luft auf einmal kann man nur durch den Mund einholen. Auch Pferde beispielsweise, die an sich immer durch die Nase atmen, gähnen durch das Maul. Währenddessen hört man kurzfristig etwas schlechter, weil sich em Verbindungsgang zwischen Ohr und Mundraum schliesst. Die Augen gehen halb zu, zuweilen kommt eine Träne. Zum herzhaften Gähnen gehort auch, Rumpf und Glieder kräftig zu strecken und das Kreuz durchzudrücken. Auch Tiere überstrecken den Rücken, oder sie machen einen Buckel.
 
Das Ausatmen geschieht nach kurzem Anhalten der Luft schneller, passiv und oft mit charakteristischen Lauten. Jetzt erschlaffen die vorher kontrahierten Muskeln, der Mund geht wieder zu und die Augen auf.
 
Lange glaubten Mediziner, das Gähnen diene der besseren Sauerstoffversorgung des Gehirns. Doch das haben Messungen widerlegt: Im Blut steigt dabei weder die Sauerstoffkonzentration mehr als sonst beim Einatmen noch sinkt der Kohlendioxidievel ubermassig. Doch die Wissenschaft hat andere Erklarungen für den lange viel zu wenig beachteten Verhaltensabiauf gefunden.
 
Einigen Aufschluss über den eigentlichen Sinn des Gähnens geben schon die Situationen, in denen es normalerweise auftritt. Wie viel ein Mensch im normalen Tagesablauf gähnt, ist individuell verschieden, ähnlich wie manche Leute viel, andere wenig schlafen. Die Frequenz andert sich überdies mit dem Alter - wohl auch im Zusammenhang mit der Schlafdauer. Während Kinder im ersten Lebensjahr sicher fünfundzwanzig bis dressig Mal am Tag auf die Art Luft schnappen, tun es ältere Personen im Allgemeinen höchstens noch etwa zehn Mal.
 
Besonders oft gahnen wir des Morgens beim Aufwachen, wobei wir uns gleichzeitig räkeln, und dann wieder vor dem Einschlafen. Das Verhalten überkommt uns des Weiteren unter Schlafmangel, aber auch bei Langeweile, wenn sich eine Situation monoton dahinzieht und unsere Aufmerksamkeit schwindet, etwa bei Fliessbandarbeit, auf einer langen eintönigen Autofahrt oder während eins einschläfernden Vortrags. Ist es hess oder fühlt man sich räumlich beengt, wird es noch schlimmer.
 
Unabhängig von langweiligen Situationen ähnelt der Tagesrhythmus des Gähnens bei Tieren dem des Menschen. Wie leicht zu erkennen ist, tritt das Verhalten auf, wenn sich der Grad von Wachheit und Aufmerksamkeit verschiebt. Genauere Untersuchungen ergeben, dass Gähnen uns wie auch den Tieren dabei hilft, wach und konzentriert zu werden beziehungsweise es zu bleiben. Bei Müdigkeit am Abend soll es eigentlich bewirken, dass wir nicht - zumindest nicht auf der Stelle - einschlafen. AJlerdings gewinnt dann die Schlafbereitschaft meist die Oberhand.
 
In diesem Zusammenhang ist die Wirkung bestimmter Neurohormone, der Orexine, interessant. Die Orexine, oder Hypokretine, wurden erst 1998 entdeckt. Unter anderem beteiligen sie sich an der Regulation von Schlafen und Wachsein. Sie entstehen im Hypothalamus, der für die Regulation des Stoffwechseigleichgewichts verantwortlich ist. Dort werden sie im Hungerzentrum ausgeschüttet. Sie stacheln den Appetit an, senken aber zugleich den Energieverbrauch. Wie die Gruppe von Ikuko Sato-Suzuki von der Toho-Universität in Tokio herausfand, gähnen Ratten mehr, nachdem ihnen Orexine in den Paraventrikular-Kern des Hypothalamus injiziert wurde. Zugleich stieg ihre Wachheit.
 
 
Steigende Gähnfrequenz vor der Fütterung
 
An Tieren kann man gut beobachten, dass sie in gespannter Erwartung und vor wichtigen Ereignissen, die im Prinzip für sie überlebenswichtig sind, vermehrt gähnen. Bemerkenswert oft tritt das im Zusammenhang mit dem Fressen auf. Die Futterung im Zoo zu festen Zeiten ist hierfür ein gutes Beispiel. Nicht nur bei Löwen steigt davor die Gähnfrequenz klar an. Auch etwa Mandrills, eine Pavianart aus dem Regenwald, befleissigen sich dessen, wenn sie auf den Wärter warren. In der Wildnis gähnen Löwen auffallend viel, bevor das Rudel zur Jagd loszieht. Hyänen tun desgleichen, wenn sie einen Kadaver umkreisen, den sie sich aneignen möchten. Offenbar wirkt hier die Aussicht, den Hunger zu stiilen, förderlich - was nicht verhindert, dass ein voller Bauch auch wieder Anlass zum Gähnen gibt.
 
In den 1 980 er Jahren haben Forscher Rarten daran gewöhnt, dass sie nur einmal täglich zu fester Stunde gefütertt wurden. Nach drei Wochen gähnten die Nager in der Stunde vor dem Schmaus bis zu zehnmal öfter ais während des übrigen Tages. Die Haufung verschwand nach dreitägigem Fasten wieder.
 
Ubrigens schlafen und dösen die Pflanzenfresser unter den Saugetieren, etwa die Huftiere, im Allgemeinen nicht nur weniger als die Raubtiere - wohl weil sie viel mehr Zeit für Fressen und Futtersuche aufbringen müssen -, sondern sie gähnen offensichtlich auch deutlich seltener.
 
Wie Experimente ergaben, steigern sich sowohl die Ruhephasen als auch die Haufigkeit des Gähnens, wenn man ihnen nährstoffreicheres Futter gibt. Dieser Effekt ist tatsächlich von der Höhe der Kalorienzufuhr abhängig. Die einzige Ausnahme von dieser Regel scheinen Früchte fressende Affen zu sein.
 
Auch soziale Kontakte und Stress können Gähnen auslösen, sogar schon bei niederen Wirbeltieren. Den Juwelen-Riffbarsch (Microspathodon chrysurus) kann man ärgern, indem man die Attrappe eines Artgenossen vor ihm schwimmen lässt. Dann verharrt der recht aggressive Fisch mit gespreizten Flossen auf der Stelle, öffnet das Maul und gähnt mehrere Male regelrecht, indem er Wasser aufnimmt. Danach schwimmt er noch minutenlang nervös hin und her. Genauso verhält er sich, wenn man das Hypophysenhormon ACTH ins Wasser gibt, weiches die Nebenniere anregt, das Stresshormon Cortisol auszuschütten.
 
Stimmungsabhängiges Gähnen ist insbesondere von Säugetieren gut bekannt. Generell zeigen es dann, beispielsweise bei Nagern und bei Affen, die Männchen mehr als die Weibchen. So beobachtete der Verhaltensforscher Bertrand Deputte von der Universität Rennes (Frankreich) bei einer Makakengruppe, dass das dominante Männchen am meisten von allen gähnte. Diese Art zu gähnen steht nach Auffassung des franzosischen Ethologen manchmal am Ende von sozialen Interaktionen mit emotionaler Bedeutung.
 
Offenbar ist dieser Geschlechtsunterschied vom männlichen Hormon Testosteron abhangig. Er beginnt sich in der Pubertät zu zeigen, in der die männlichen Affen zugleich langere Eckzähne bekommen. Wird em Männchen kastriert, verschwindet dieses Gähnen. Injiziert man ihm dann männliche Hormone, erscheint das Verhalten wieder. Entgegen anderer Verlautbarungen handeit es sich niemals um ein Drohsignal, wenn em Affenmännchen seine machtigen Eckzähne entblösst. Vielmehr scheint das oberste Männchen so seinen Status zu demonstrieren. In unserer eigenen Evolution gingen diese Funktionen offenbar verloren. Warum allerdings bei unserer Art Manner nicht öfter gahnen als Frauen, ist nicht klar.
 
Gähnen trotz vollständiger Lähmung
 
Vieles weist darauf hin, dass das Gähnen von sehr allen Gehirnstrukturen herrührt. Em besonderes neuronales Zentrum, das diese Erscheinung hervorbringt, haben Hirnforscher bisher zwar nicht gefunden. Doch auf jeden Fall nehmen der Hypothalamus - vor allem der schon erwähnte Paraventrikular-Kern (Nucleus paraventricularis) - darauf Emfluss, des Weiteren das Riechhirn sowie die Brücke, em Bereich des Stammhirns, der mit der Hirnrinde und mit dem Rückenmark in enger Verbindung steht.
 
Beim menschlichen Fetus tritt der Bewegungsablauf etwa im vierten Schwangerschaftsmonat auf. Die früheste Beobachtung stammt von einem 15 Wochen alten Fetus. In diesem Alter, wenn sich der Himstamm ausdifferenziert und die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) zu arbeiten anfängt, vermag das Kind auch zu saugen und zu schlucken. Gähnen und Saugen haben den gleichen neuronalen Ursprung.
 
Kinder, deren Gehirn sich nicht ausgebildet hat, leben nach der Geburt nur wenige Stunden. Aber sie gähnen und strecken sich. Das tun erstaunlicherweise auch vollständig gelähmte Menschen, obwohl sie sonst zu keiner Bewegung mehr fähig sind und auch wissentlich den Mund nie öffnen könnten. Sogar Patienten mit einem so genannten Locked-in-Syndrom, die sich in keiner Weise mehr mitteilen können, gähnen.
 
Vor einigen Jahrzehnten entwarf Paul D. MacLean vom Amerikanischen Institut für geistige Gesundheit in Bethesda (Maryland) die These vom Dreifachhirn (dreieinigen Gehirn) des Menschen. Nach diesem groben Schema setzt sich unser Gehirn aus drei unterschiedlrch alten Grundtypen zusammen, die sich übereinander schichten und hierarchisch aufeinander aufbauen.
 
Das älteste, innerste, nannte MacLean "Reptilienhirn". Zu ihm gehoren der Hirnstamm (auch als Stammhirn be zeichnet) und die Basalkerne. In diesen Bereichen entstehen grundlegende angeborene Verhaltensäusserungen. Auch das Gähnen als Gesamtkomplex hat hier seinen Ursprung.
 
Uber dem Reptilienhirn lagert das "Altsaugerhirn", das Gefühle reguliert und Bereitschaften steuert, in etwa gleichzusetzen mit dem limbischen System, einer Errungenschaft der Saugetiere. Hier dürfte das emotional bedingte Gähnen etwa von dominanten Affenmännchen ausgelöst werden.
 
Das jüngste der drei Gehirne ist das "Neusaugerhirn", das den Neocortex, die Neurinde, bildet, also den grossten Teil der Grosshirnrinde. Besonders das Stirnhim gewinnt hiermit an Bedeutung. Die höheren Hirnstrukturen sind zuständig, wenn wir uns vom Gähnen anderer Leute anstecken lassen.
 
Entzugssyndrom bel Heroinsucht
 
Für die grundlegende Beteiligung des Stammhirns an dem Verhaltensautomatismus gibt es sehr viele Beobachtungen, besonders aus dem medizinischen Bereich. Manche Medikamente oder Drogen stimulieren das Gähnen, andere unterdrücken es vollig. Unter Morphium etwa setzt das Verhaken aus. Bei Heroinsuchrigen kommen Gahnattacken als Entzugserscheinung vor. Auch Neuroleptika blockieren den Automatismus. Dagegen macht Histamin nicht nur wach, sondern lost auch Gähnen aus.
 
Wie schon gesagt, ist die herzhafte Ausserung mit der Regelung von Wachund Schlafruständen wie auch des Appetits verbunden. Schlafen und Wachen beruhen auf dem Zusammenspiel von einem guten Dutzend tief sitzender neuronaler Schaltkreise unter Mitwirkung einer Hand voll neuronaler Botenstoffe.
 
Die gleichen Botenstoffe steuern auch das Gähnen. Einige wirken dabei offenbar eher aktivierend, andere hemmend. So erklärt sich, wieso manche Gehirnmedikamente, die solche Botenstoffe beeinflussen, wiederholtes Gähnen auslösen, andere hingegen das Verhalten völlig unterdrücken. Stimuliert man etwa mit einem injizierten Wirkstoff die Freigabe von Dopamin, last das ganze Gähnsalven aus. Das Gegenteil tritt auf, wenn man die Freigabe unterdrückt, was auch durch Neuroleptika geschieht.
 
Dass manche Tiermütter nach einer Geburt gähnen, geht auf Dopamin und Histamin zurück. Die beiden Substanzen regen Neuronen des ParaventrikularKerns an, das Hormon Oxytocin auszuschütten. Unter anderem sorgt dieses Peptid für den Milchfluss. Das "Liebeshormon" fördert aber auch das Knupfen fester sozialer Bindungen. Ohne Oxytocm würde eine Kuh nicht ihr eben geborenes Kalb lecken und die Nachgeburt fressen - Voraussetzungen dafür, dass sie ihr Junges annimmt. Dabei gähnt sie immer wieder. Versuche mit Ratten zeigten zudem, dass auch die Gabe von Oxytocm selbst Gähnen auslöst.
 
Em anderer für Wachzustände wichtiger Botenstoif ist Acetylcholin. Bei Ratten wurde nachgewiesen, dass dessen Konzentrationsschwankungen über den Tag, wie auch die von Dopamin, nicht nur mit dem Wachheitsgrad zusammenhangen, sondern auch mit der Giihnhaufigkeit korrelieren. Serotonin nimmt ebenfalls auf das Gähnen Einfluss. Gleiches gilt für die korpereigenen und von auIen zugeführten Opiate.
 
Zusammengenommen scheint Dopamin als Auslöser besonders wichtig zu sein. Dieser Botenstoff veranlasst, dass der Paraventrikular-Kern des Hypothalamus Oxytocin ausschüttet. Das wiederum aktiviert Acetylcholin, das im Meynert'schen Kern wirkt. Die anderen Botenstoffe modulieren die Reaktion.
 
Gähnreflex als Muntermacher
 
Die enge Beziehung zwischen Schlafen und Gähnen kommt sicherlich über das vegetative (autonome) Nervensystem Stande, das grundiegende physiologische Funktionen wie Atmung, Herzschlagfrequenz, Blutdruck und Verdauung steuert. Dabei arbeiten das sympathische und parasympathische System ais Gegenspieler. Ersteres ist für Aktivität, Letzteres für Ruhe zustandig.
 
Im Schlaf übernimmt das parasympathische System die Fuhrung. In dem Zusammenhang senkt Acetylcholin den Blutdruck und verlangsamt den Herzschlag. Am stärksten sind die Muskeln in den Traumphasen entspannt, obwohl das Gehirn währenddessen hochaktiv ist. Auch die oberen Atemwege sind dann vollig schlaff und eng.
 
Nach dem Aufwachen sorgt das Gähnen dafür, dass die Atemwege wieder weit werden, die Muskeln ihre Leistungsbereitschaft wiedergewinnen sowie Herzschlag und Blutdruck steigen. Bei Müdigkeit wie auch Langeweile dagegen sinkt der Muskeltonus. Insbesondere Nacken- und Kaumuskein werden schlaff. Dies lost den Reflex aus, sie gefälligst anzuspannen - nämlich zu gahnen. Die Nachricht geht gleichzeitig zum Locus coeruleu, der dann die Wachheit erhöht.
 
Nach einem französischen Sprichwort steckt em guter Gähner sieben Leute an. Besser gesagt lassen sie sich unwillkürlich mitreigen. Das aber ist eine Spezialität des Menschen. Die LOwen auf dem Eingangsfoto gahnen aus einem anderen Grund gleichzeitig. Vielleicht erwarten sie Futter. Niemals würden sie in dieser Weise das Maul aufreiIen, weil sie gerade einen Artgenossen gahnen gesehen haben. Beim Menschen jedoch funktioniert die Ubertragung ohne jede Absicht weder des Vorgähners noch des Einfallenden. Wer sich allerdings gerade konzentriert beschäftigt, ist vor Ansteckung ziemlich sicher.
 
Ende der 1980er Jahre hat der Psychologe Robert Provine von der Universität von Maryland in Baltimore dieses menschliche Phänomen genauer untersucht. Unter anderem zeigte er Testpersonen einen Film mit dreissig Gähnsequenzen. Erwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer folgte dem Beispiel, manche schon nach wenigen Sekunden, andere bis zu fünf Minuten spater. Dagegen liess sich niemand von gähnenden Zeichentrickgesichtern mitreissen.
 
Hingegen sind manche Menschen so anfällig, dass schon die reine Beschreibung, ja der Gedanke an den Ablauf genügt. Und doch: Sahen diese hypersensiblen Leute von einem gähnenden Gesicht nur einen Teil, und sei es der Mund, regte sich bei ihnen nichts. Dabei muss man das Gähnen nicht emmal sehen, um davon angesteckt zu werden, denn auch Blinde reagieren, wenn sie jemanden genüsslich gähnen hören.
 
Schizophrene lassen sich nicht anstecken
 
Kürzlich hat Steven Platek von der Drexel University in Philadelphia (Pennsylvania) untersucht, worm sich ansteckbare und unempfängliche Menschen unterscheiden. Wie er herausfand, fallen jene Menschen am besten em, die in hohem Grade empathiefähig sind, das heisst allgemein stark mit anderen mitfühlen und sich in deren Situation hineinversetien können. Sie spüren das Befinden des Mitmenschen auch besonders leicht an dessen Gesichtsausdruck. Menschen mit schizophrenen Zügen sind gewöhnlich nicht ansteckbar.
 
Einfühlungsvermogen erfordert, viele Informationen zu analysieren und zu bewerten, und ist damit eine Leistung höherer kognitiver Funktionen. Mitgähnen geschieht aber automatisch, eher unbewusst. Es wirkt wie eine empathische Ausserung, die einen allerdings instinktiv, unfreiwillig überkommt. Uber diesen Mechanismus erfassen Menschen offenbar unwillkürlich das Befinden von anderen, in dem Fall wohl deren Wachheitsgrad. Der Sinn scheint zu sein, dass unterschiedliche Personen so ihren Aktivitätszustand aufeinander abstimmen. Man könnte es eine affektive Kommunikationsform nennen, die nicht auf bewusster Ebene abläuft.
 
Weiche Gehirnfunktionen beim Mitgähnen des Menschen arbeiten, beginnt sich erst langsam zu erhellen. Auf jeden Fall scheint die Hirnrinde beteiligt zu sein. Offenbar sind die so genannten Spiegeineuronen einbezogen, die Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma 1996 bei Makaken entdeckten. Es handeit sich um eine Neuronengruppe in der Grosshirnrinde, und zwar im prämotorischen Cortex.
 
Das Besondere dieser Nervenzellen ist, dass sie nicht nur dann aktiv werden, wenn der Affe eine bestimmte Aktion ausführt, etwa ein Objekt ergreift, sondern auch, wenn er jemandem bei der gleichen Handlung zusieht. Das muss kein Artgenosse, es kann auch ein Mensch sein. Entsprechende Neuronen besitzen auch wir. Anscheinend machen wit die beobachtete Handlung sozusagen im Geiste mit. Möglicherweise sind diese Spiegelneuronen unter anderem auch für unser Empathievermögen wichtig.
 
Im Jahr 2002 beobachtete Jean Decety von der Universität des US-Staates Washington in Seattle, weiche Hirnregionen beim Menschen aktiv sind, wenn die Versuchsperson eine vorgefuhrte Bewegung nachmacht - oder wenn sie zusieht, wie umgekehrt jemand anders sie imitiert. Dabei kam heraus, dass beim Imitieren und beim Beobachten von nachgeahmtem Verhalten im Stirn- und Schläfenlappen die gleichen Regionen anspringen - neben den für die Bewegungsausführung selbst zustandigen Gebieten. Es gibt hier eine Art von gemeinsamer Kodierung für eigene und bei anderen beobachtete Handlungen.
 
Auch wenn Gähnen ansteckt, arbeiten diese Spiegelneuronen, wie Riitta Hari von der Universität Helsinki im Sommer 2003 nachwies. Sahen Testpersonen einen Film mit gähnenden Leuten, war em Bereich der oberen Schläfenfurche aktiv, der zu diesem Hirnsystem gehort. Dieselben Neuronen blieben stumm, wenn die Testteilnehmer andere Gesichtsausdrücke vorgeführt bekamen.
 
Interessant dabei ist, dass diese Neuronen sozusagen mitschwingen, auch wenn der Zuschauende dann gar nicht gähnt. Im Stirnhirn ist ein Hernmmechanismus lokalisiert, der die Reaktion unterbindet. Das gilt für nachahmendes Verhalten generell. Bei manchen Hirndefekten funktioniert die Hemmung nicht mehr. Diese Menschen imitieren zwanghaft die Gesten anderer - oder auch deten sprachliche Ausserungen.
 
Sich vom Gähnen anstecken zu lassen, dürfte eine besondere Art des Nachahrnens sein, die erst in der Evolution des Menschen entstand. Sie geschieht zwar unwillentlich, doch das Verhalten benutzt - wie Bewegungen uberhaupt Imitationsneuronen der Hirnrinde. In dem speziellen Fall tritt der Hemmmechanismus allerdings nicht dazwischen. Vielleicht half diese besondere Form von automatischer Stimmungsübertragung den Hominiden, ihre Gruppenaktivitäten zu synchronisieren, ohne das Bewusstsein bemühen zu müssen.
 
 
yawning.infospektrum